Schwerer Abschied vom 'La': Das 'Leander' eröffnet
POTSDAM (ron) Das Potsdamer Szene-Lokal an der Benkertstraße öffnet wieder. Seit Mittwoch (20.08.) zur gewohnten Zeit ab dem Mittag bis in die späte Nacht hinein. Nach seiner Schließung vor knapp zwei Wochen hatten sich spontan mehrere Gäste, Freunde und Mitarbeiter um das Lokal bemüht. Eine Gruppe um Peter Lömker (besser bekannt als Officer Kami), Carsten Bock (Katte e.V.) und Jochen Brückmann (O-Ton-Piraten) hat gegenwärtig das Unternehmen neu belebt. Ein Verein, der das Lokal dauerhaft übernehmen soll, befindet sich derzeit in Gründung. "Wir waren von der Schließung alle sehr überrascht", erklärt Bock die Situation, "...und konnten daher auch nur recht kurzfristig mit ersten Schritten reagieren." Erst kurz vor Ende dieses Jahres soll die völlige Erneuerung des Betriebes abgeschlossen sein. Bis dahin kündigen Bock und Lömker noch mehrere Veränderungen an. Gegenwärtig ändert sich erst einmal die Bezeichnung: Nach zehn Jahren 'La Leander' wird das 'La' aus dem Namen gestrichen. "Wir wagen mit dem 'Leander' an dieser Stelle einen konsequenten Neuanfang", meint Bock.
Am 08. August war dem bisherigen La Leander-Wirt Jirka Witschak die Betriebserlaubnis für seinen Laden entzogen worden. Das Potsdamer Gewerbeamt drängte auf die sofortige Schließung des Lokals (gaybrandenburg berichtete). Witschak, der diese Nachricht während eines Kurzurlaubs im Ausland erhielt, zeigt sich in einer ersten Reaktion am Ende seiner menschlichen Kräfte: "Meine Seele hat irgendwann 'Nein' gesagt", erklärt der 38jährige gegenüber gaybrandenburg.de. Jede versuchte Fortführung des Geschäftes hätte nach seiner Aussage "...Dinge verlängert, die mir nicht gut getan hätten." (Das komplette Interview mit Jirka Witschak weiter unten)
'Queer im Viertel' soll nun der Träger des neuen 'Leanders' heißen. Ein gemeinnütziger Verein, der deutlich besser als bisher die umfangreichen Aufgaben, die dieses Lokal in gewachsener Tradition mit sich bringt, auf mehreren Schultern verteilen kann. Schon seit Jahren ist das 'La Leander' Anlaufstelle für Schwule und Lesben im Coming Out oder mit den unterschiedlichsten Problemlagen. Es ist Kernstück eines funktionierenden Netzwerkes aus sozial engagierten Menschen, ambitionierten Machern, Künstlern, Politikern, Vereinen und Institutionen. Bei Bier oder Wein sind hier in langen Nächten die Konzepte für den Queensday, gleich mehrere Ausstellungen oder zahlreiche Veranstaltungen zum CSD-Brandenburg entstanden. "Das soll auch unbedingt so weiter gehen", betont Bock, "...daher wird Jirka Witschak dem Haus auch so gut es geht erhalten bleiben. Diese Dinge tragen nunmal alle seine Handschrift."
Dieser Laden war "...auf Kante genäht!"
Jirka Witschak im Interview mit gaybrandenburg.de-Redaktionsleiter Ron Schulz
Zu meiner ersten Frage komme ich nicht wirklich. Jirka winkt ab und erklärt:
Die Schließung war von mir nicht geplant.
Hättest Du sie im Vorfeld abwenden können?
Vielleicht. Aber das hätte letztlich Dinge verlängert, die mir nicht gut getan hätten. Gastronomie ist heutzutage kein einfaches Geschäft mehr. Es war immer mein Ziel, innovativ zu sein. In den zehn Jahren hat sich vieles im Laden verändert, wurde ständig den Erfordernissen angepasst und weiterentwickelt. Das waren stetig neue und zum Teil auch große Investitionen. Und so habe ich zehn Jahre lang viel für den Laden und recht wenig für mich getan. Hans Eichel prägte mal den Satz "Dieser Haushalt ist auf Kante genäht." So etwa habe ich das im La Leander auch desöfteren gehalten.
Nebenbei liegen jetzt zehn Jahre 'Dauerkampf' hinter mir. Es findet sich wohl kaum ein Amt in der Stadt, mit dem ich hier nicht irgendwann ein Problem gehabt hätte. Ich erinnere nur an den Denkmalschutz und das 'Grachtengrün'... das waren für mich alles Feuertaufen. Ich habe viel gelernt dabei. Aber es hat auch viel Kraft gekostet. Von den Kämpfen innerhalb des schwul-lesbischen Bereiches wage ich dabei gar nicht erst zu reden.
Endet das nun alles mit einem Schlag?
Jirka lacht Nein, wahrscheinlich nicht. Ich will mich ja auch nicht heute schon zur Ruhe setzen. Aber die Gastronomie, die Veranstaltungen, Ausstellungen, jedwede Förderung junger Talente, Kreativität, Organisation, Hife, Beratung und Buchhaltung - das passt für mich personell nicht mehr unter einen Hut. Das schaffe ich auch gesundheitlich nicht mehr. Eine neue Organisationsform ist hier eigentlich längst überfällig gewesen. Das habe ich letztlich auch zu spät erkannt. Dennoch bin ich stolz auf das, was wir hier geschaffen haben.
Warum stolz?
Weil mir das La Leander auch nach zehn Jahren noch Spaß macht und Freude bereitet. Es ist im Laufe der Zeit zu einer Reflektionsfläche ganz vieler Leute geworden, die sich hier auf irgendeine Weise einbringen und somit direkt oder indirekt auch an der Entwicklung des Ladens teilhaben.
Hättest Du das vor zehn Jahren auch nur zu träumen gewagt?
Neeee... Ich hab nie eine schwule Bar aufmachen wollen. Das war eine Horrorvorstellung für mich. So mit älteren Herren vor dem Tresen, die Abend für Abend jedes Frischfleisch abzugreifen versuchen. Um so überraschter war ich, wie sich der Laden tatsächlich innerhalb der Szene entwickelte. Und wie sehr man damit plötzlich auch in der Öffentlichkeit steht... und somit angreifbar wird. Vieles mussten wir selbst auf die Beine stellen: Ob nun HIV/Aids-Prävention, Beratung oder Veranstaltungen - immer gab es dafür irgendwann plötzlich einen Bedarf. Und immer fanden sich auch engagierte Menschen, die sich auf diese Projekte einließen. So ist dieser Laden gewachsen und die Netzwerke drumherum mit ihm. Das ist dann wohl aber auch einer der größten Gewinne, die das La Leander je erbringen konnte.
Aber wirtschaftlich wohl eher ein Fiasko...
Nicht unbedingt... wir haben das ja viele Jahre lang gut durchgehalten. Es ist dann irgendwann aber die Summe der Dinge...
...wann hast Du für Dich persönlich aufgegeben?
Ich habe nicht aufgegeben. Die Seele hat irgendwann 'Nein' gesagt. Aber das hat nichts mit 'Aufgeben' zu tun. Wichtig ist nach wie vor, dass dieses Lokal als fester Mosaikstein im Potsdamer Szeneleben erhalten bleibt.
Außer Menschen mit ganz unterschiedlich geprägter Lebenserfahrung ist hier nun aber keine besonders verbriefte Sozialkompetenz in Sicht. Was zeichnet das La Leander als Beratungsstelle aus oder macht es zum Anlaufpunkt und Infocafé?
Die Gäste selbst. Und dahinter steckt ein ganz einfaches Rezept: Wir haben auf diese Sparte nie abgehoben. Das klang in den späten Achtzigern noch ganz gut, heute sollte man jedoch alles streichen, was nach Info und Beratung klingt. Das wird von einem Großteil der Jugendlichen nicht angenommen. Die suchen andere Plattformen und gehen dahin, wo es 'cool' ist. Hier fallen sie immer gleich in Gruppen ein, und haben dann auch meistens eine potentielle Lesbe/ einen potentiellen Schwulen mit dabei. Die/ der sind dann plötzlich ein halbes Jahr später wieder da, schauen sich vorsichtig um, trinken zwei Gläser Cola. Und erst, wenn es da wirklich mal ein Problem gibt, mit den Eltern, der Schule, den Ämtern usw..., dann kommen plötzlich Fragen. Aber die dann bereits auf der Basis eines existierenden Vertrauensverhältnisses. Viele von ihnen könnte man sicherlich direkt an die etablierten Beratungsstellen vermitteln. Aber das gestaltet sich aus verschiedenen Ängsten heraus oft sehr schwierig. Da wäre man ja plötzlich abgestempelt, als Kranker, als Aussenseiter, als was auch immer. Die wollen ihre Probleme schlicht und ergreifend mit Leuten bereden, die sie dafür selbst erwählt haben, weil sie ihnen vertrauen.
Unter anderem genau deshalb bleibst Du dem Leander auch ein ganzes Stück weit erhalten. Was planst Du insgesammt für die Zukunft?
So wie der Laden momentan da steht, ist er mit mir untrennbar verbunden. Es wäre - glaube ich - falsch, sich daraus kurzfristig zurückzuziehen, auch wenn ich nicht mehr ständig und mit dem bisherigen Kraftaufwand tätig werden kann. Ich muss mich in nächster Zeit auch mal um meine Gesundheit kümmern, den CSD-Brandenburg 2009 vorbereiten und neue Veranstaltungsformate ersinnen, ein bisschen mehr Zeit für mich finden, und vielleicht sogar etwas Sport treiben. Ich bin ein kreativer Mensch. Das will ich ausleben. Und irgendwann möchte ich mit meinem Gatten mal einen kleinen abgelegenen Bauernhof bewohnen. Aber das hat noch etwas Zeit.
gaybrandenburg.de vom 10.08.2008:
Potsdams La Leander bleibt vorläufig geschlossen
Neues Kapitel im 'Ämterkrieg' an der Benkertstraße: Während Gastwirt Jirka Witschak ein paar Tage im Urlaub weilt, läßt die Stadtverwaltung umgehend seine Kneipe schließen
POTSDAM (red) Die Potsdamer Szene-Bar La Leander ist seit Freitag (08.08.) vorläufig geschlossen. Das Potsdamer Gewerbeamt entzog Betreiber Jirka Witschak die Betriebserlaubnis für den Laden an der Benkertstraße und drängte auf die sofortige Schließung des Betriebes. Ursächlich dafür seien nach ersten Erkenntnissen des Personals die seit längerem bestehenden Unstimmigkeiten über die Terassennutzung und dafür auch ausserhalb der Saison anfallende Gestattungskosten. Es seien in den Jahren 2006 und 2007 teilweise Gebühren und Mahnkosten unbezahlt geblieben. Mutmaßlich sind das jedoch nicht die einzigen Gründe für das nunmehr konsequente Handeln des Amtes.
Witschak befand sich am Tag der Schließung auf Urlaub im europäischen Ausland. Nach seinem zehnjährigen Firmenjubiläum, welches das La Leander vor wenigen Wochen beging (gaybrandenburg berichtete), wollte er sich eigentlich ein paar Tage Erholung gönnen. Nach Aussage der Stadtverwaltung könnte bei zügiger Klärung der Situation das Lokal an der Benkertstraße in wenigen Tagen bereits wieder öffnen.