Meningitisfälle aus Berlin beunruhigen Szene in Brandenburg - Präventions- und Beratungsstellen raten zur Impfung
(gaybrandenburg-Red.Update-24.07.2013) Vor ein paar Wochen waren die beiden jungen Männer mit Freunden in Friedrichshain-Kreuzberg unterwegs gewesen. Es war Mittwochabend, der 8. Mai, am nächsten Tag war Vatertag. Sie besuchten einen Schwulen-Klub, die Nacht verbrachten die beiden 24-Jährigen zusammen. Zwei Tage später fühlten sich beide krank. Der eine litt unter Übelkeit, Erbrechen, steifem Nacken. Wenig später kam er ins Krankenhaus, er liegt bis heute im Koma. Der andere ging noch arbeiten, abends traf er Freunde. Doch die Beschwerden wurden schlimmer. Zwei Tage später starb er in seiner Wohnung. Aktuelle Erkrankungsausbrüche unter MSM sind auch noch aus New York und Paris bekannt.
Seit nunmehr fast 3 Wochen halten immer neue Nachrichten, Informationen sowie Halbwahrheiten und Gerüchte über die Berliner Meningitisfälle auch die Brandenburger Szene von Schwulen und allen anderen Männern, die Sex mit Männern haben, in Atem. Wir berichten hier tagesaktuell über die weitere Entwicklung...
Von 6 infizierten schwulen Berlinern (alle 22-29) sind vier tot und einer liegt im Koma. Ab 27.7. sollen sich nun alle Berliner Schwulen und Männer die Sex mit Männern haben impfen lassen. Auch für Brandenburger wird Impfung angeraten...
Nachdem es nun auch erste Fälle mit Berlinbezug in Brandenburg gibt, raten Präventions- und Schwulenvereine auch für Brandenburger MSM eine Impfung.
In allen Fällen hatte sich ein Bakterium namens Neisseria meningitidis rasend schnell ausgebreitet und das Immunsystem überrollt. Die kugelförmigen Bakterien, häufig einfach Meningokokken genannt, können sich im Gehirn vermehren und dort eine gefährliche Hirnhautentzündung verursachen, wie hier in dem Beispiel wo die Mittlere der 3 Hirnhautschichten extrem vergrößert und voll eitriger blutunterlaufener Entzündungsherde ist. In anderen Fällen führt das zu einer Blutvergiftung die Arme und Beine blau anlaufen lässt, bevor sie amputiert werden müssen. Meningokokken sind Bakterien, die im Nasen-Rachen-Raum des Menschen vorkommen und z. B. durch Küssen oder direktes Anhusten übertragen werden können. Circa 10 Prozent der Bevölkerung tragen diese Bakterien in sich ohne dabei zwangsläufig zu erkranken. Es wird davon ausgegangen, dass unter MSM circa 40 Prozent Träger der Bakterien sind und somit möglicherweise ein höheres Erkrankungsrisiko besteht. Eine Erkrankung ist sehr ernst zu nehmen, da sie mit schweren Komplikationen und bleibenden Schäden einhergehen kann. So kommt es bei zwei Dritteln der erkrankten Patientinnen und Patienten zu einer Hirnhautentzündung und bei einem Drittel zu einer lebensgefährlichen Blutvergiftung (Sepsis). In 10-20 % der Fälle kommt es zu bleibenden Schäden. Die Sterblichkeit ist bei einer Erkrankung an Meningokokken der Gruppe C mit bis zu 10 % sehr hoch.
Die einzige wirksame Möglichkeit der Prävention besteht in einer Impfung. Gemäß Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) erhalten alle Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr eine einmalige Impfung gegen Meningokokken kostenlos. Bei Erwachsenen empfiehlt die STIKO eine Impfung für bestimmte Personen mit Immundefekten, wie z.B. HIV-Positive (kostenlos), oder auch für Reisende in bestimmte Länder (auf eigene Kosten). Für Männer, die Sex mit Männer haben, hat die STIKO bisher keine Impfempfehlung herausgegeben. Diese Lücke wird nun aus aktuellem Anlass durch die Impfempfehlung des Landes Berlin für Berliner geschlossen. Für Brandenburger, besonders mit intensiven Kontakten nach Berlin ist diese Impfung zwar anzuraten,eine Impfempfehlung wie in Berlin gibt es derzeit aber leider noch nicht. In sofern ist es an jedem selbst, zu überlegen, ob die knapp 50 EUR nicht zum einen sinnvoll angelegtes Geld sind im Sinne der eigenen Gesundheit. Evtl. hätte man das als Reiseimpfung ja jetzt sowieso geplant - dann sollte man dies ggf. noch vorziehen. Und viele Krankenkassen erstatten ja auch Reiseimpfungen generell (z.B. TK oder Knappschaft) bzw. stellen einem 150 EUR im Jahr im Rahmen eines Gesundheitskontos u.a. auch für Reiseimpfungen zur Verfügung (Barmer-GEK) oder erstatten wenigstens die Hälfte der Impfkosten (DAK)
Am Anfang müssen auch Berliner die Kosten erstmal vorfinanzieren und bekommen sie dann auf formlosen Antrag von Ihrer Kasse erstattet. Erst ab Anfang September soll das dann automatisch per Rezept mit der Kasse abgerechnet werden. Wer als Brandenburger sowieso bei einem Berliner (Schwerpunkt-) Arzt in Behandlung ist, sollte danach dort ruhig mal nachfragen. Aus Erfahrungen wissen wir, dass einige Ärzte aus ethischen Gründen bzw. dem Grundsatz: "Wir sind Ärzte und keine Medizinjuristen" solch Unterscheidungen zwischen Berlinern und Brandenburgern in der Behandlung ablehnen und wie auch immer das dann zwischen Arzt, Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkasse geklärt wird zumindest die letzteren Beiden sind daran sicher noch nie zu Grunde gegangen...Auch ein Anruf bei seiner Krankenkasse unter verweis auf den regelmässigen Aufenthalt in Berlin könnte sich lohnen - schliesslich haben die Krankenkassen, allen voran die Ersatzkassen ja nun schon in den ersten Tagen nach der Impfempfehlung für Berlin erklärt, die Kosten erstmal vorläufig zu tragen.
Weiterhin planen die Berliner Präventionsvereine wie Schwulenberatung/Mancheck, Mann-O-Meter und die Berliner Aidshilfe auch die Möglichkeit einer selbstgetragenen anonymen Impfstelle - ein Impfbus von Fixpunkt soll dann in wechselndem Rhythmus an verschiedenen Szenestandorten auch anonyme Impfungen anbieten welche dann auch Brandenburger MSM kostenfrei und anonym nutzen könnten.
Zur Zeit gibt es aber in Berlin erstmal noch zwei andere Probleme zu lösen - in vielen Apotheken gibt es bereits Engpässe mit dem Impfstoff. Das scheint vor allem daran zu liegen, dass Einzeldosierungen knapp sind. Die braucht man aber, wenn man über Privatrezept zum Apotheker geht. Großpackungen sind davon scheinbar noch nicht betroffen, Berlin stellt aber (im Gegensatz zur letzten Schweinegrippe wo viele Länder dann auf dem Impfstoff sitzen blieben) keinen Impfstoff zur Verfügung. Zum anderen ist auch noch nicht geklärt, in wieweit der Öffentliche Gesundheitsdienst dort mit einbezogen werden kann, da dafür eine Aufstockung der Ressourcen dort erforderlich wäre.
Für Brandenburg raten die Präventions- und Schwulenvereine nunmehr auch zur Impfung. Da der Impfstoff im allgemeinen gut vertragen wird und die Risiken einer Erkrankung und der weiteren Verbreitung nicht absehbar sind, sollten sich Brandneburger MSM unabhängig von der Frage der Kosten impfen lassen, so Katte e.V. und Bündnis Faires Brandenburg in einer heute veröffentlichten Erklärung.
Hier gibt es Informationen und Beratung in Brandenburg
Dienstag 10:00 – 12:00 Uhr
Donnerstag 10:00 - 12:00 Uhr und 15:00 – 18:00 Uhr
Impfaufruf der Berliner Präventionsprojekte: Impfaufruf_A4_quer.pdf22/07/2013, 20:07
Weitere Infos zum Thema
Fotos: RKI, wikipedia.org