Zu viel Dreck unter'm Roten Teppich

Die Potsdamer Aids-Gala 2007 feiert unter Ausschluß der Szene fragwürdige Spendenrekorde und einen Verein, der seine Ehrenamtler abschafft

(red) "So schön kann AIDS sein!" In nur wenigen Sekunden rauscht im Halbdunkel eine Liebesszene auf der Leinwand vorrüber. Ein kurzes Stöhnen. Fertig. Dann folgt die bittere Botschaft, dann das Logo der Aidshilfe Potsdam. Die Premiere des Kino-Spots von HFF-Studentin Anne Krüger fand rauschenden Beifall auf der inzwischen achten Potsdamer Aidsgala am 6. Dezember. Im Saal des Hans-Otto-Theaters, der an dem Abend genau 407 Sitzplätze bietet, zählen die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) ungefähr 100 freigebliebene Stühle und der Veranstalter immerhin 380 Gäste. Die brandenburgische Sozialministerin Dagmar Ziegler (SPD) reist verspätet in Brüssel ab und muß sich an Stelle ihrer geplanten Rede vom Schirrmherrn der Gala, dem Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs, für ihre Abwesenheit entschuldigen lassen.

Die Theaterbühne, die im vergangenen Jahr noch mit prunkvoller Showtreppe und zahlreichen Licht- und Videoeffekten aufwartete, überrascht diesmal mit einer sehr schlichten Kullisse. Ein schwerer klassischer Leuchter schwebt darüber und bricht das Studentenkeller-Outfit. Einige Künstler nutzen für ihre Auftritte lediglich die Vorbühne. Hinter ihnen fällt jedoch kein Vorhang, sondern eine erkennbar verschmutzte Leinwand, und der Flügel am rechten Bühnenrand vermisst die pflegliche Behandlung durch eine Putzfrau offenbar auch schon seit längerer Zeit. Durch beide Seitenaufgänge treten das ganze Programm hindurch Leute, die mit der Show nichts Erkennbares zu schaffen haben, geräuschvoll auf und verschwinden wieder. Der Zuschauer wundert sich: So sieht also eine Gala aus?

Das Programm bietet deutlich mehr Glanz, als seine 'Verpackung': Andreas Schulte, inzwischen eine feste Größe auf der Potsdamer Aidsgala, begeistert ganauso wie das Duo STRAUSS-issimo - der eine mit POP-Balladen am Piano, die anderen mit unterhaltsam dargebotener Operette. Anne Görner, zum zweiten Mal dabei, aidsgala0702.jpgschmettert wunderbare Arien, erst mit - und nach technischem Versagen noch viel schöner - ohne Mikrofon. Zwischendrin präsentiert sich der künstlerische Nachwuchs: Von Mia Knop Jacobsen, einer 14jährigen Schülerin, wird man wohl in den nächsten Jahren noch einiges zu hören bekommen. Vorerst bietet sie mit überzeugender Gesangsstimme die Ballade "Angels" von Sarah McLachlan und begeht damit an diesem Abend ihre Bühnenpremiere. Der POP-Chor des Helmholtz-Gymnasiums bringt schwungvolle Klänge von ABBA, und die Breakdance-Gruppen 'Cross-Level" und "Rocking Skillz" übernehmen auf ihre ganz eigene Art die Aufgaben einer Showballet-Truppe. Die ersten Gäste sind kurz davor mitzutanzen - mitgeklatscht wird allemal eifrig. Dirk Zöllner läßt es in der vorletzten Nummer nochmal ordentlich knistern im Saal und dann führen 'kitchen grooves' mit Frontfrau Patricia Schwaab schwungvoll in das Finale. Moderator Attila Weidemann, bekannt als 'Rasender Reporter' vom ORB/rbb meistert den Abend auf höchst sympathische Weise und tuckert zeitweilig sogar mit seiner Schwalbe durch den Saal. Im Schluß-Akkord bittet er die Groß-Sponsoren des Abends auf die Bühne. Die Geschäftsführer oder Vertreter mehrerer Unternehmen dürfen sich dort feiern lassen, die allesamt ohne Gage tätigen Künstler des Abends treten im Schlußbild irgendwann dahinter.

Das läßt eine neue Gewichtung und inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung erkennen, deren Vorbereitung  2007 zum Teil tiefe Gräben durch die Potsdamer Kultur- und Szenelandschaft gezogen hat. Gegenwärtig läßt sich die Aidshilfe Potsdam als Veranstalter der Gala von mindestens drei Marketing- und Veranstaltungs-Agenturen beraten und in der Vorbereitung und Durchführung unter die Arme greifen. Zum Teil sogar kostenpflichtig. So wurde in diesem Jahr eins der beteiligten Unternehmen damit beauftragt, eine längerfristige Konzeption der Potsdamer Aidsgala zu erarbeiten. Zu diesem Zweck erhielt die Aidshilfe auf eigenen Antrag hin eine größere Summe aus sogenannten Lottomitteln, die von der mittelbrandenburgischen Sparkasse üblicherweise zur nachhaltigen Förderung öffentlicher Anliegen einmalig an Vereine (beispielsweise auch für die Erneuerung von Sportanlagen) ausgereicht werden. Die Höhe der Summe soll bei 8.000 Euro liegen. Das wollte die Potsdamer Aidshilfe bisher jedoch nicht bestätigen. Bis dahin war es die Aufgabe eines ursprünglich vom Potsdamer UCI-Kino gegründeten unabhängig tätigen Gremiums aus verschiedenen Unternehmen und Privatpersonen, die Potsdamer Aids-Gala zu entwickeln, Künstler und Sponsoren zu finden, Jahr für Jahr eine immer größer und schöner werdende Veranstaltung auf die Beine zu stellen oder auf die Bühne zu bringen.

"Wir wollen auf keinen Fall ehrenamtlich für eine bezahlte Agentur arbeiten" stellen gleich mehrere der 'alten' Mitstreiter fest, als Ex-Aidshilfe-Vorstand Harald Petzold im Mai 2007 das neue Konzept des Veranstalters vorstellt. Doch der Verein, der in seinen eigenen Grundsätzen das Ehrenamt als sein wichtigstes Gut betrachtet, gibt per Vorstandsbeschluß den neuen Agenturen 'Grünes Licht'. Somit verabschieden sich Mitte des Jahres unter Angabe verschiedener Gründe nacheinander Nicole de Hair (Veranstaltungsfachfrau), Olaf Gutowski (Produktionsfirma 'gutfilm', Videotechnik und Filmproduktion) und Riccarda Nowak (freie Journalistin) aus der Reihe der Organisatoren. Ole Reblin mit seiner Veranstaltungsagentur 'ProEvent' versucht sich der veränderten Situation irgendwie anzupassen, wird jedoch nach eigener Aussage plötzlich zu Meetings nicht mehr eingeladen. Ronald Schulz (Fernsehjournalist und Produktionsleiter mehrerer vorangegangener Galas) verlässt bereits im April nach Unstimmigkeiten mit dem Hans-Otto-Theater und auf Betreiben der Aidshilfe das Team. Die UCI-Kinowelt hatte sich aus anderen Gründen bereits zu Beginn des Jahres aus der aktiven Organisation der Veranstaltung zurückgezogen. Lediglich eine PNN-Mitarbeiterin, einzelne Vertreter der bereits beteiligten Agenturen und mehrere Angehörige der Aidshilfe selbst setzen ihre Tätigkeit fort.

"Plötzlich sind wir von Hortense Lademann und den Vorständen immer wieder recht plump und irgendwie auch erkennbar im Unklaren gelassen - und in vielerlei Hinsicht offenbar auch zielgerichtet belogen worden" kommentiert Schulz sein Weggehen. "Letztlich bleibt der Eindruck, man fällt mit ehrenamtlichem Engagement dem Verein eher zur Last." Und das ließe das Spenden-Anliegen der Gala 2006, das Ehrenamt auszubauen, als blanken Zynismus erscheinen. Schulz verweist darauf, dass bisher niemand öffentlich erklärt hat, was aus den Spendeneinnahmen 2006 eigentlich geworden ist, und tippt, dass sich das auch für 2007 nicht ändern wird: "Man hat offensichtlich massiv Fördermittel in diese Veranstaltung gesteckt, die anderswo sicher besser verwendet wären, da man im Prinzip alle davon betroffenen Leistungen hätte auch vom vorhandenen ehrenamtlichen Stab bekommen können." So betrachtet, relativiert sich allerdings die von der Aidshilfe bekanntgegebene Rekord-Spendensumme von etwa 8.000 Euro.

"Die Gala hat dadurch für mich viel von ihrem persönlichen Charme verloren", meint Riccarda Nowak. Und tatsächlich erkennt man eine teilweise neue Ausrichtung: weniger Kosten, mehr Spenden, mehr Sponsoren. Das scheint zumindest im neuen Agenturkonzept so gestanden zu haben. In der Umsetzung führt das letztlich sogar dazu, dass Frisöre am Gala-Abend gegen Spende eine Auffrischung des Haarschnitts oder des Make-Ups anbieten. Dafür bleibt die restliche Szene draußen: Sämtliche Info-Stände oder Beiträge anderer szenenaher Vereine, die über Jahre feste Größen in den Foyer-Angeboten der Potsdamer Aidsgalas waren, wurden 2007 wegen Platzmangels konsequent abgesagt. Pressevertreter aus der Szene, wie beispielsweise ein gayBrandenburg-Fotoreporter, wurden gleich mit ausgeladen. Nicht wegen Platzmangels, der sei wiederum zu laut (Bild oben).

Das mit dem Platz sei wohl auch dem großen Buffet geschuldet, gibt Hortense Lademann zu bedenken. In zwei Strecken fährt Bio-Company-Koch Ralph Loreck einzigartige Leckereien auf. Darunter viel vegetarisch Anmutendes zwischen Geflügelpralinen mit Chilikuvertüre oder Tandoorispießen mit Ingwer-Mangodip. Damit setzt sich die Qualität des Bühnenprogramms im anschließenden Speisenangebot konsequent fort: Nicht immer bekannt, aber in jedem Fall genießbar und voller überraschender Höhepunkte.

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